Online-Mediation als Chance

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Der Vorstand des Schweizerischen Dachverbands Mediation empfiehlt in einer Mitteilung, Mediationen im Zweifelsfall zu verschieben oder virtuell durchzuführen. Eine Chance für die Online-Mediation. Doch wie kann eine Online-Mediation erfolgreich durchgeführt werden? Worauf muss man sich als Mediatorin oder Mediator achten? Ich habe mich mit meiner Supervisions-Kollegin Sarah Lötscher - sie ist auf Online-Mediationen spezialisiert - zu einem Gespräch getroffen, natürlich virtuell!

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Covid-19 - Auswirkungen auf die Mediation

Welche Auswirkungen haben die vom Bundesrat angeordneten Massnahmen auf die Tätigkeit von Mediatorinnen und Mediatoren? Diese Frage haben sich bestimmt viele Mediatorinnen und Mediatoren gefragt. Der schweizerische Dachverband (SDM) hat am 23. März 2020 in einer Mitteilung verschiedene Aspekte veröffentlicht, die es zu beachten gilt. Neben den Anweisungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) wird empfohlen, dass besonders gefährdete Personen nicht persönlich an einer Mediation teilnehmen sollten. Sie sind über Telefon oder Video zuzuschalten. Allgemein: «Im Zweifelsfalle oder wenn eine Seite dies wünscht, ist die Mediation zu verschieben oder virtuell durchzuführen. Es können Telefon- oder Video-Konferenzen abgehalten werden.»

Hier kommt also Online-Mediation zum Zug und ich musste sofort an meine Supervisions-Kollegin Sarah Lötscher denken. Bereits vor 5 Jahren hatte sie sich im Rahmen Ihres MAS-Studiums "Interkulturelle Kommunikation und Mediation" am Institut für Kommunikation und Führung mit dem Thema der Online-Mediation intensiv beschäftigt. Im Rahmen ihrer Masterarbeit hat sie bisherige Erfahrungen und zukünftige Anwendungsfelder von Online-Mediation in der Deutschschweiz untersucht. Nun gewinnt dieses Thema aufgrund der aktuellen Lage eine noch grössere Bedeutung.

Ich habe Sarah angefragt, ob sie zu einem kurzen Gespräch, natürlich über Videocall, bereit wäre. Sie hat netterweise zugestimmt.

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Sarah Lötscher

lic. phil. und Mediatorin
Vorstandsmitglied
Verband Mediation

Ein Gespräch mit Sarah Lötscher

Sarah, wie würdest Du die aktuelle Lage und deren Einfluss auf die Mediation beschreiben?

Homeoffice und Quarantäne bestimmen im Moment viele Unternehmen und Privathaushalte - der Coronavirus hat eine plötzliche und unerwarteten gesellschaftlichen Krise herbeigeführt. Unternehmen müssen Arbeitsprozesse kurzerhand umstrukturieren und viele fürchten sich vor dem Konkurs. Arbeitnehmer*Innen werden vom Bundesrat dazu aufgefordert, von zu Hause aus zu arbeiten, sie müssen sich auf die Schnelle an das Arbeiten mit Telefon und Videokonferenztools gewöhnen und auch ihr Privatleben wird dadurch völlig auf den Kopf gestellt.

Alle diese Veränderungen sind ein Nährboden für Konflikte. Gerade in Zeiten grosser Umwälzungen sind Mediator*Innen wichtig. In jedem Unternehmen, in jedem Team und auch in allen Familien müssen gemeinsam neue Lösungen entwickelt werden, die den Bedürfnissen aller Beteiligten entsprechen.

Momentan ist es empfehlenswert, diese neuen Lösungen online zu entwickeln. Es macht daher Sinn, darüber nachzudenken, wie das gehen kann und welche Möglichkeiten, Chancen und Risiken Online-Mediationen mit sich bringen.

Seit 2015 beschäftigst Du dich intensiv mit der Online-Mediation. Weshalb?

Genau, vor 5 Jahren habe ich mich im Rahmen meiner Masterarbeit intensiv mit dem Thema Online-Mediation beschäftigt. Ich habe damals und auch in den folgenden Jahren viele Tools ausprobiert und Online-Mediationssimulationen durchgeführt. Es hat mich sehr fasziniert, wie viele Möglichkeiten Online-Mediation beinhaltet.

Welche Möglichkeiten?

Online-Mediation bietet eine grosse Kommunikationsvielfalt: Es kann sowohl ein schriftlicher als auch ein mündlicher Austausch, eine gemeinsame Diskussion oder ein Einzelgespräch durchgeführt werden. Es gibt unzählige Programme, mit welchen Grafiken, Bilder oder Mindmaps bearbeitet oder erstellt werden können. Diese Programme werden laufend weiterentwickelt und verbessert und bieten wertvolle Interventionsmöglichkeiten für die Mediation. Online-Mediationen können zudem einfach dokumentiert und für die Konfliktparteien oder das Unternehmen aufbereitet werden. Grundsätzlich können diese Formen der Kommunikation in jeder Mediation als zusätzliche Möglichkeiten angewendet werden.


In Deiner Masterarbeit untersuchtest Du die Erfahrungswerte und die zukünftige Nutzung von Online-Mediation für die Deutschschweiz. Gibt es Länder die uns hinsichtlich Online-Mediation weit voraus sind?

In den Vereinigten Staaten gibt es schon seit 1999 Unternehmen, die sich auf Online-Mediation für Konflikte zwischen Käufern und Verkäufern von Onlineshops spezialisiert haben. Diese Erfahrungen werden seit damals vielerorts für andere Konfliktarten- und formen weiterentwickelt. Giuseppe Leone in Hawaii hat im Rahmen des Virtual Mediation Lab beispielsweise schon hunderte von Video–Mediationen zu Arbeitsplatz- und Familienkonflikten simuliert und bietet als Pionier in diesem Gebiet seine Erfahrungen für Arbeitsplatz-Konflikte an. Er beschreibt einen wachsenden Markt im Bereich Online-Mediation. Zudem bestätigen seine Simulationen viele Vorteile von Online-Mediation. Online-Mediation entwickelt sich dementsprechend mehr und mehr zu einer eigenständigen neuen Form von Mediation. Falls du dich mit Video-Mediationen auseinandersetzen willst, lohnt sich ein Blick auf seine Homepage.


Welche Video-Konferenztools kannst Du für die Durchführung einer Online-Mediation empfehlen?

Insbesondere Video-Konferenzsysteme wie Skype, Zoom, Whatsapp, etc. werden heute von vielen Menschen genutzt und als benutzerfreundlich wahrgenommen. Diese Systeme bieten sich auch besonders gut für Online-Mediationen an.

Das Video-Konferenztool ist ausgewählt und erfolgreich installiert. Was gilt es vor und während der Online-Mediation zu besonders zu beachten?

  1. Vor der Mediation müssen die Teilnehmenden über das Video-Konferenzsystem informiert werden. Es ist sinnvoll mit allen Beteiligten vor der Mediation ein kurzes, privates Onlinetreffen einzuberufen, um sicherzustellen, dass es keine technischen Schwierigkeiten gibt.

  2. Darüber hinaus müssen vorab auch die eigenen Voraussetzungen überprüft werden: dass der Raum nicht zu dunkel ist und der Hintergrund möglichst neutral, eine gute Kamera vorhanden ist und das Mikrophon auf dem eigenen Computer funktioniert.

  3. Zu Beginn der Mediation muss sichergestellt werden, dass sich keine weiteren Personen im Raum der Teilnehmenden befinden, alle Telefone ausgeschaltet sind und keine Videoaufnahmen von der Mediation gemacht werden.

  4. Während der Online-Mediation erfordert es spezifische Kommunikationsmethoden: die Teilnehmenden müssen während der Mediation mit ihrem Namen angesprochen werden, da die nonverbale Kommunikation oft nicht ersichtlich ist. Zudem können die Teilnehmenden dazu aufgefordert werden, persönliche Einwände auf einem Notizpapier festzuhalten, um diese erst dann anzusprechen, wenn die an der Reihe sind.

  5. Anfangs müssen sich die Teilnehmenden an die neue Form der Kommunikation gewöhnen. Wenn man sich zum ersten Mal über ein Videokonferenzsystem unterhält kann das auch zur Überforderung führen. Es ist wichtig, dass der/die Mediator*in fragt, ob die Teilnehmenden sich mit der neuen Technik wohl fühlen. Die Einstellung der Teilnehmenden zum technischen System entscheidet mit über den Erfolg der Mediation.

  6. Es können während der Mediation viele weitere technische Funktionen genutzt werden: Die Durchführung von kurzen Einzelsitzungen während der Mediation, die gemeinsame Bearbeitung eines Dokuments (Desktopsharing) sowie das Festhalten von Beschlüssen im Chat, etc.

Vielen Dank für diese hilfreichen Tipps, Sarah! Möchtest Du uns zum Schluss noch etwas mitteilen?

Liebe Mediatorinnen und Mediatoren da draussen, nun sind wir dazu aufgefordert Neues auszuprobieren! Lasst uns diese Chance am Schopf packen. Lasst uns neue, kreative Online-Mediationsmethoden entdecken, die auch nach der Corona-Krise weiter sinnvoll genutzt werden können. Ich bin zuversichtlich, durch die aktuelle Situation nicht nur für unsere Medianden neue passende Lösungen anbieten zu können, sondern auch für uns selbst neue Wege für die Mediation entdecken zu können.

Alles Gute und vor allem bleibt gesund!

Danke vielmals für dieses spannende Gespräch! Ich hoffe Du bleibst ebenfalls gesund.

Ben Hughes

Weiterführende Links von Sarah Lötscher:


PS: Das Ausbildungsinstitut Perspektiva in Basel hat angesichts der Corona-Krise eine tolle Aktion gestartet: Kostenlose Konflikthilfe durch erfahrende MediatorInnen.




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